Kirchenrat Dr. Thomas Posern, der Beauftragte der Evangelischen Kirchen im Land Rheinland-Pfalz, möchte sich mit eigenen Augen über die Arbeit der Gemeinden und von sozialen Einrichtungen in seinem Verwaltungsgebiet informieren. Aus diesem Grund besucht er nach und nach die Wahlkreise der Landtagsabgeordneten, nicht zuletzt auch um den Kontakt zwischen Kirche und Politik zu intensivieren.
Der Alzeyer Abgeordnete Heiko Sippel hatte sich für den Besuch des Kirchenrats zwei besonders herausragende Projekte herausgesucht, die für ein vielfältiges Engagement und Miteinander über die kirchlichen Organisationen hinaus stehen.
Bei der Alzeyer Tafel erwarteten Dr. Posern zunächst nüchterne Zahlen, die zum einen für den engagierten Einsatz der Ehrenamtlichen, zum anderen auch für die unerwartet stark in Anspruch genommene Hilfeleistung sprachen. „Wir hatten innerhalb des ersten Quartals schon bis zu 400 Karten ausgegeben“, erinnert sich Gerd Koenen, der früher ehrenamtlich die Tafel leitete, und heute noch immer sehr aktiv ist.
Den Anstoß zum Aufbau einer Tafel gab die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), woraufhin sich acht kirchliche Träger zusammentaten. „Wir haben anfangs mit 30-50 ‚Kunden’ gerechnet, niemals mit einem solchen Andrang“, so Stefan Brux, Vorsitzender der Alzeyer Tafel. Zwischen 300-350 Menschen decken sich pro Woche für einen symbolischen Euro bei der Tafel mit Lebensmitteln ein. „Nur ein Siebtel derer, die tatsächlich berechtigt wären herzukommen, nehmen diese Hilfe in Anspruch,“ sagt Koenen.
Dabei stoßen viele dieser Menschen schon an ihre Grenzen. Oft sei es ein Schamgefühl, das sie davon abhalte diesen Schritt zu gehen, berichtet Brux, andere dagegen sind sehr dankbar für diese Einrichtung. Nach ihrer Erfahrung seien es etwa 20 Prozent, die dauerhaft auf diese Hilfe angewiesen sei. Die meisten Tafel-Kunden sind froh, wenn sie diesen Weg nicht mehr gehen müssen, auch wenn es hin und wieder Rückschläge gibt. „Wir sind dankbar für die fast 100 ehrenamtlichen Helfer, die tagtäglich helfen der Armut entgegenzuwirken“, sagt Koenen.
Dem Kirchenrat gefiel es zu sehen, dass das Ehrenamt in Alzey so geschätzt werde, äußerte sich aber sinnierend über den moralischen Zwiespalt: „Das eine tun, das andere lassen. Wo ist hier die Grenze?“ Sippel fügte angesichts der erschreckenden Zahlen hinzu, dass es eigentlich Aufgabe des Sozialstaates sei für ein Existenzminimum zu sorgen, Menschen daher gar nicht erst gezwungen sein sollten auf Einrichtungen wie die Tafel zugreifen zu müssen: „Angesichts eines ausgeweiteten Niedriglohnsektors müssen wir heute politisch entgegensteuern, sonst kann es in wenigen Jahren zu massiver Armut kommen.“ Ein Angebot wie die Tafel sei, so Brux, nur ein gesellschaftliches Symptom seiner Zeit.
Bild: © Marta Thor