Vier Politiker, zwanzig Vertreter der Wirtschaft aus dem Landkreis Alzey-Worms sowie Pressevertreter kamen bei Lufthansa Technik AERO Alzey (LTAA) zusammen, um am runden Tisch gemeinsam die aktuelle Wirtschaftssituation zu besprechen. Zum Regionalen Wirtschaftsgespräch hatte der Landtagsabgeordnete Heiko Sippel (SPD) nach Alzey eingeladen und mit dem Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz und ehemaligen Wirtschaftsminister, Hendrik Hering, auch einen prominenten Gast gewinnen können. Neben Hering nahmen der Wormser Landtagsabgeordnete Jens Guth als wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion und Landrat Ernst Walter Görisch teil.
„Wir können zwar unsere Ausbildungsstellen noch gut besetzen, haben aber gegenüber früheren Jahren deutlich weniger Bewerbungen“, stellte Udo Beckmann, Geschäftsführer von e-rp Alzey, fest. Schwieriger sei es hingegen gewesen, eine Ingenieurstelle passend zu besetzen. Man müsse schon frühzeitig an den Universitäten und Fachhochschulen potentielle Mitarbeiter für sein Unternehmen anwerben, so seine Idee. Doch nicht nur Fachkräfte seien schwer zu finden, auch gute Lehrlinge seien Mangelware, befand Volker Schmand, Geschäftsführer der WÖBAU GmbH & Co. KG aus Wörrstadt: „Obwohl wir im Straßenbau attraktive Löhne zahlen, kriegen wir einfach nicht genug Lehrlinge.“ Das liege, so vermutete der SPD-Fraktionschef Hendrik Hering, häufig an der Unwissenheit der Jugendlichen dem Handwerksberuf gegenüber. Oftmals werden „Weiße-Kragen-Berufe“ gegenüber den vermeintlich weniger attraktiven Berufen im „Blaumann“ bevorzugt. Über Chancen und Löhne ist oft nur wenig bekannt,“ so Hering.
Der Kreishandwerksmeister Bernd Kiefer forderte: „Die Eltern müssen die Schranke im Kopf umlegen. Das Handwerk biete attraktive Berufsausbildungen und gute Chancen für eine Karriere als Meister. Roland Geis, stellvertretender Leiter der Wöllsteiner Niederlassung von JOMO Großhandel GmbH & Co. KG, verwies auf einen unaufhaltsamen Trend: „Das Lebensmittelhandwerk bricht weg. Die Entwicklung geht hin zur Tüte. Jeder braucht die Branche, doch das Ansehen des Berufs in der Bevölkerung ist dahin.“ Schlimmer: „Zwei Metzger und ein Bäcker schließen jeden Tag in Deutschland,“ wies Kiefer auf die Dringlichkeit der Thematik hin.
Das Interesse am Beruf schon früh in der Schule zu wecken, idealerweise auch durch Praktika, das sei der richtige Weg, so der Abgeordnete Heiko Sippel (SPD) unter allgemeiner Zustimmung. Die engere Verzahnung von Schule und Praxis sei von großer Bedeutung, zumal sich mit dem Rückgang der Schülerzahlen nach 2015 eine zunehmende Konkurrenz um Fachkräfte ergebe. Sein Landtagskollege Jens Guth bestätigte, dass es bereits gut laufende Modelle an Schulen gäbe, an denen die Erkenntnis und Begeisterung für das Handwerk wiederbelebt würde. Allerdings dürfe man keine Schulabgänger ohne Abschluss gehen lassen. Nur zu kritisieren, anstatt zu loben und zu fördern, sei pädagogisch sicherlich der falsche Weg, meinte Hendrik Hering. LTAA-Geschäftsführer Martin Hach gab zu bedenken, dass das duale Ausbildungssystem in Deutschland und die hohe Ausbildungsbereitschaft der Firmen von unschätzbarem Wert seien. „Andere Länder beneiden uns darum.“
Bei aller Sorge um ausreichend Fachkräfte waren sich alle einig: Die Region hat sich wirtschaftlich hervorragend entwickelt. Sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei sehr zufriedenstellend, ja sogar weit überdurchschnittlich. Diese Einschätzung treffe auch auf das Land insgesamt zu, befand Hering, der auf Spitzenwerte in der Wirtschaftsdynamik verwies. In keinem anderen Land seien in den letzten Jahren vergleichsweise mehr Arbeitsplätze wie hier geschaffen worden. „Wir bekennen uns zum Industriestandort Rheinland-Pfalz und wollen Industrieland Nummer 1 werden“, machte Hering klar.
Nach Baden-Württemberg und dem Saarland stehe man heute bereits auf Platz 3. Mit dem Ende des Bergbaues werde das Saarland zurück fallen. Mit einem industriellen Kern von fast 30 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, erweise sich die Wirtschaft im Land als äußerst robust. „Denken Sie dabei nicht nur an die Großindustrie“, unterstrich Hering, „es ist gerade die mittelständische Struktur, die Rheinland-Pfalz stark macht“.
Mit einem Bekenntnis zur Energiewende und dem Erfordernis, eine sichere Energieerzeugung zu bezahlbaren Preisen zu gewährleisten, wurde auf diesem Themenfeld schnell Übereinstimmung erzielt.
Erfreulich entwickle sich der Immobilienmarkt, bilanzierten Gerhard Reiss von Reiss Immobilien Alzey und Sparkassendirektor Franz Horch unisono. Gerade Wohnimmobilien erlebten derzeit einen Boom. Heiko Sippel verwies auf die Bedeutung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken für die Kreditversorgung. „Während manche Großbanken ihr Geld verzockt haben, versorgen sie die Privat- und Realwirtschaft mit dem notwendigen Kapital“, lobte der Abgeordnete.
Dem demografischen Wandel müsse man entgegenwirken, denn „die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz nimmt ab,“ bemerkte Hering. Doch der Bedarf an Wohnraum steigt, denn es gebe jetzt mehr Singles, die bezahlbaren Wohnraum bräuchten. „Auch für neue Lebensformen im Alter gibt es Bedarf. Es gelte, die Städte und Dörfer von innen heraus zu stärken und attraktiver zu machen.“
Bild: © Marta Thor